Zustandsbeurteilung bei Flexaret-Kameras

Wenn ich auf einer Fotobörse oder einem Flohmarkt eine alte Kamera kaufe, dann möchte ich damit fotografieren. Für einen Sammler, der Vitirinenstücke sucht, ist der äussere Zustand meist wichtiger, er wird nur in Ausnahmefällen eine Kamera näher ins Auge fassen, deren Zustand in Amerika nicht als “mint” bezeichnet würde.

Für mich ist das Äussere auch interessant, aber aus einem anderen Grund: davon läst sich auf den inneren Verschleiss schließen. Um mich nicht falsch zu verstehen, abgewetzte Farbe auf der Kante des Sucherdeckels ist nichts schlechtes, zeigt aber, dass die Kamera wohl mehr als einige Filme gesehen hat. Gut so, denn damit ist die Gefahr der Verharzung des Verschlusses ein wenig geringer.

Aber wenn sich Dellen finden oder tiefe Kratzer, dann kann ich davon ausgehen, dass die Kamera in professionellem Gebrauch war. Die Konstruktion ist zwar sehr einfach und die verwendeten Materialien durchaus langzeitstabil, aber Verschleiss entsteht nunmal durch Benutzungsdauer und Belastungsausmass.

Was Sie alles brauchen

Nehmen Sie sich einen Belichtungsmesser mit, dazu einen einfachen Elektronenblitz, eine leere Filmspule, neue Schwarzweiss-Filme und einen geöffneten Testfilm (siehe “Bildabstand”) sowie ein mechanisches Auslösekabel. Wenn Sie eine Taschenlampe dabei haben, schadet das auch nicht. Als Spezialwerkzeug können Sie sich ein Filmebenen-Mattscheibe bauen. Was das ist, erfahren Sie weiter unten, bei der Fokussierungskontrolle.

Äussere Inspektion

Ganz besonders misstrauisch werde ich immer, wenn ich vernudelte Schrauben vorfinde. Sie sind ein Zeichen von unprofessionellen Reparaturen. Und da sich die wichtigsten Schrauben unter der Frontbelederung befinden, kontrolliere ich zuerst, ob diese gleichmäßig angeklebt ist. Oft sind die Ränder leicht aufgewölbt, das ist nicht schlimm. Bei Ungleichmäßigkeiten frage ich nach. Gutes Sevice schließt auch eine saubere Verklebung mit ein.

Höcker und Blasen in der Belederung können von Rostnestern darunter stammen. Finger weg, ausser der Preis stimmt und Sie wollen ein Modell zum üben.

Die Prüfung der Lichtdichtheit des Gehäuses ist nur im Dunkeln möglich: mit einer Lampe leuchtet man bei offenem Verschluss und Blende (Stellung B oder T) durch die Aufnahmelinse und sucht nach Lichtaustritt entlang der Filmkammer. Das dürfte wegen der Umgebungshelligkeit bei einer Fotobörse kaum möglich sein., ist aber auch nicht so wichtig. Sofern der Kammerdeckel nicht verzogen ist, ist er auch dicht. Dichtungsmaterial, das verrotten könnte, gibt es nicht.

Was man noch kontrollieren kann, das ist die Leichtgängigkeit und Exaktheit, mit der sich die Filmkammer öffnen und schließen lässt. Dazu muss man den kleinen Knopf links oben hinein drücken. Der hat aber eine Sicherung: wenn er ganz hinein gedreht ist, kann man ihn nicht versehentlich betätigen. Sollte die Kammer also nicht gleich aufspringen, drehen Sie den Knopf vorsichtig mehrere Umdrehungen heraus und probieren Sie es weiter.

Der Lichtschacht sollte sich von selbst öffnen, nachdem man den Deckel etwas angehoben hat. Bei älteren Modellen muss zuerst ein Riegel betätigt werden. Die Mattscheibe kann schon einmal etwas zerkratzt sein, solange man damit noch gut fokussieren kann. Wichtig ist, ob das Bild hell genug ist. Die Reinigung der Scheibe kann nur im zerlegten Zustand erfolgen, und die Erneuerung eines angelaufener Spiegel dürfte den Wert der Kamera bei weitem übersteigen. Seien Sie hier besonders kritisch und vergleichen Sie eventuell mit einer ihrer eigenen Kameras.

Wenn ein Guckloch am Kameradeckel vorhanden ist, schauen Sie einmal durch. Ist es sehr staubig oder trübe? Dann sehen Sie die Markierungen am Papierträger des Filmes nicht gut genug. Ist es nicht mehr rot, sondern nur noch orange? Dann ist seine Schutzwirkung vielleicht nicht mehr ausreichend und Sie riskieren verschleierte Bilder.

Film- und Aufwickelspule haben gefederte Achsen, die sich seitlich einen Zentimeter herausziehen lassen. Sie dürfen nicht verrostet sein, sonst brechen zuerst die Federn und irgendwann klemmt die Mechanik. Bei Kameras ohne Guckloch ist die gefederte Achse in den Transportknopf integriert und lässt sich nur nach Öffnung der Filmkammer herausziehen.

Über die Kontrolle von Bildzähler und Filmtransport erfahren Sie im Abschnitt über Bildabstände mehr.

Fokussierung

Die Verstellung des Fokus sollte leichtgängig sein. Auch hier kann es zu Verharzung kommen, oder der Objektivmechanismus ist infolge eines Sturzes verzogen und klemmt ein wenig. Von solchen Kameras sollten Sie die Finger lassen. Im günstigsten Fall steht ein Service mit Reinigung, Schmierung und Justierung (englisch CLA – cleaning, lubrication, adjusting) ins Haus. Das ist ein halber Tag Arbeit für jemand, der sich damit auskennt. Und davon gibt es nicht mehr viele. Adressen finden Sie im Quellennachweis.

Für die Prüfung der Scharfstellung empfielt sich der Einsatz eines Statives. Stellen Sie den Fokus jetzt auf “unendlich” und prüfen Sie das Bild auf der Mattscheibe mit der Sucherlupe. Falls Sie durch Nachfokussieren ein schärferes Bild bekommen, dann hat jemand beim Zusammenbau der Sucherkammer die Mattscheibe nicht justiert. Zu den Kosten siehe oben.

Zur Kontrolle der korrekte Schärfe auf der Filmebene kommt nun die Filmebenen-Mattscheibe zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine selbstgebaute Hilfsmattscheibe, die ein wenig größer ist als das Negativformat und an dem eine Lupe befestigt ist. Nachdem Sie das Sucherbild auf der Mattscheibe scharfgestellt haben, setzen Sie die Hilfsmattscheibe dort ein, wo sonst das Negativ von der Andruckplatte gegen die Filmführung gepresst wird, und betrachten das Bild durch die Lupe. Wenn das Bild nicht ebenfalls scharf ist, dann stimmt die Korrelation zwischen den beiden Objektiven nicht. Das wäre dann wieder ein Hinweis auf einen unsachgemäßen Zusammenbau oder, falls die Scharfstellung schwergängig ist, auf einen Sturzschaden.

Objektivkontrolle

Die beiden Objektive lassen sich recht gut inspizieren. Fangen wir mit dem weniger kritischen an, dem Sucherobjektiv. Von aussen sehen sie, ob es zerkratzt ist. Leichte Spuren sind kaum zu vermeiden und eigentlich nicht schlimm, Sie reduzieren eventuell den Kontast auf der Mattscheibe ein wenige. Die Rückseite können Sie nur nach Zerlegung des Spiegelkastens erreichen, weshalb es eigentlich nie beschädigt ist. Es kann aber Staub darauf liegen. Schauen Sie mal durch das Objektiv bei offenem Lichtschacht in eine Lampe und konzentrieren Sie sich auf die Objektivoberflächen, während Sie die Kamera ein wenig hin und her bewegen. Jetzt sind Sie wahrscheinlich entsetzt, was Sie alles sehen. Möglicherweise sogar Luftblasen im Glas. Beim Sucherobjektiv würde ich mir darüber keine Gedanken machen, solange man keine Flecken unterschiedlicher Helligeit auf der Mattscheibe sieht.

Beim Aufnahmeobjektiv bin ich da schon kritischer. Zu seiner Kontrolle muss die Filmkammer geöffnet werden. Dann stellt man die Blende auf größte Öffnung und den Verschluss auf B oder besser noch T (falls vorhanden), spannt ihn und löst aus. Bei B müssen Sie den Auslöser weiterhin gedrückt halten. Nun können Sie die Linse von vorne und hinten gegen eine Lichtquelle betrachten. Krazer auf der hinteren Linse sind für mich ein Grund, die Kamera zurückzulegen. Oberflächliche Verschmutzungen dagegen lassen sich recht leicht entfernen, man sollte aber bei Objektiven mit Vergütung vorsichtig mit den verwendeten Chemikalien sein. Fragen Sie vielleicht den Händler, ob er ihnen helfen kann.

Der Zentralverschluss

Wir haben es mit verschiedenen Konstruktionen zu tun, die aber alle nach dem gleichen Prinzip funktonieren. Der Verschlussmechanismus öffnet eine Lammellenverschluss, der sich zwischen den Linsen befindet. Die Blendenmechanik ist davon unahängig. Es gibt keine Springblende, somit kann hier auch nichts verharzen.

Zuerst prüfen Sie die Lamellen auf Anzeichen von Korrosion. Lange Einsätze in Chemiebetrieben oder auf hoher See hinterlassen hier ihre Spuren und sind ein Indiz für weiter Folgeschäden an Stellen, an die Sie nicht so leicht rankommen. Optimalerweise sind die Lamellen aber sauber und glänzen gleichmäßig. Ölspuren deuten auf die Reparatur eines steckenden Verschlusses, bei der es der Mechaniker etwas zu gut gemeint hat. Eigentlich gehört in die Verschlüsse kein Öl, sie sind kleine mechanische Wunderwerke höchster Präzision.

Nun wird es Zeit, alle Verschlusszeiten einzeln ablaufen zu lassen und optisch zu kontrollieren. Das Geräusch des Hemmwerkes, das für Zeiten ab 1/30 Sekunde zuständig ist, sollte wie ein leises Schnarren klingen und absolut gleichmäßig sein, genau wie der Selbstauslöser. Ungleichmäßiger Lauf oder Aussetzer sind ein sichers Anzeichen von Staub im Getriebe. Wenn Sie von hinten durch das Aufnahmeobjektiv schauen, muss auch bei der kürzesten Zeit eine Öffnung erfolgen. Jede längere Belichtungszeit muss erkennbar mehr Licht durchlassen.

Beim Zentralverschluss werden kürzere Zeiten als 1/30 durch Erhöhung der Federspannung im Verschluss erzeugt. Diese Feder kann erlahmen, was man daran erkennt, dass die Lamellen nicht mehr völlig schließen und den Film ungewollt belichten. Solche Federn lassen sich ersetzen, falls der Mechaniker ein passendes Teil hat.

Blitzsynchronisation

Sofern ein Blitzanschluss vorhanden ist, sollte der Blitz mit allen Verschlusszeiten einsetzbar sein, schließlich ist das ja der Hauptvorteil des Zentralverschlusses, er erlaubt den Blitzeinsatz bei jeder Zeit. Die “Synchro”-Verschlüsse (Synchro-Compur, Prontor-SVS) besitzen zwei Einstellungen, die mit X und M bezeichnet werden. Stellen Sie in diesem Fall auf “X”. Setzen Sie dann den Blitz (ein ganz billiger, elektronischer ohne jede Automatik reicht) in den Zubehörschuh ein und verbinden Sie das Blitzkabel mit dem Kontakt am Gehäuse. Sollte ihr Blitz lediglich mit einem sogenannten “Hot-Shoe” ausgestattet sein, bei dem der Kontakt im Sockel integriert ist, gibt es Adaptersockel, die den Anschluss nach aussen leiten.

Nun richten Sie die Kamera bei geöffneter Filmkammer gegen eine nahe Wand, stellen die kürzeste Zeit ein und lösen aus, wähend Sie von hinten durch das Aufnahmeobjektiv blicken. Sind Sie geblendet? Gut, dann funktioniert die Synchronisation und natürlich auch der Blitzkontaktstecker.

Bildabstände bei Modellen mit Autostop-Filmtransportmechanik

Sofern Sie nicht ein Modell mit Guckloch betrachten, sollten Sie anhand eines leeren Filmes die Abstände kontrollieren. Dazu brauchen Sie eine Spule mit Film, aber mehr als eine müssen Sie nicht opfern.

Spulen Sie den Film so ein, dass die Markierung (ein grosser Pfeil) aufden roten oder weissen Punkt in der Filmkammer zeigt. Schliessen Sie die Kammer und drehen Sie den Film solange weiter, bis der Transport blockiert. Im Bildzähler steht jetzt eine “1”. Lösen Sie aus und transportieren Sie den Film weiter. Nun sollte eine “2” im Bildzähler stehen. Fahren Sie damit fort, bis die “12” erscheint. Öfnnen Sie nun die Kammer und schauen sie, wo die Markierung “12” sich befindet. Sie sollte zwei Zentimeter von der oberen Kante des Bildfensters entfernt sein.

Eine Variante wäre, wenn Sie eine Mittelformatkamera haben, der Sie vertrauen. Dann können Sie Markierungen auf dem Papierträger anbringen und bereits beim zweiten Bild den Bildabstand kontrollieren.

Nehmen Sie nun die beiden Spulen wieder heraus und wickeln Sie den Film zurück. Sie können ihn immer wieder brauchen.

Der finale Test – ein neuer Film

Wenn Sie bis jetzt die Kamera nicht wieder zurückgelegt haben, sollte dem Händler klar sein, dass Sie wirklich interessiert sind. Sagen Sie ihm ruhig, dass Sie die Kamera zum Fotografien verwenden wollen. Und wenn Sie ganz sicher gehen wollen, dass die Kamera (zumindest zu diesem Zeitpunkt) funktioniert, belichten Sie einen Film mit ihr. Nehmen Sie den Film, mit dem Sie vertraut sind. Ausserdem brauchen Sie einen Handbelichtungsmesser (den brauchen Sie sowieso, wenn Sie mit diesen Kameras arbeiten wollen), ein Stativ und genug Licht. Die Veranstaltungshalle, in der eine Kamerabörse oft abgehalten wird, ist eigentlich zu dunkel. Vielleicht können Sie mit dem Händler oder seinem Kompagnon vor die Tür gehen.

Fokussieren Sie ein entferntes Objekt an, stellen Sie auf unendlich und kontrollieren Sie mit der Sucherlupe, ob das Bild auf der Mattscheibe wirklich scharf ist. Fotografieren Sie eine Serie, bei der Sie Blende und Zeit immer gemeinsam verändern, um stets die gleiche Lichtmenge auf den Film zu bringen. Nach der Entwicklung sollten die Bilder keinen Unterschied zeigen. Da Sie bei diesen Aufnahmen auch die langen Belichtungszeiten kontrollieren, brauchen Sie das Stativ.

Um die Exaktheit der Fokussierung zu ermitteln, fotografieren Sie eine Reihe von eng beieinander stehenden Objekten, die von der Kamera weg in einer Reihe hintereinander angeordnet sind, wie etwa parkende Autos, Alleebäume oder Laternenmasten. Stellen Sie exakt auf ein Objekt in der Bildmitte scharf und stellen Sie sicher, dass davon und dahinter weitere Objekte sind. Nach der Entwicklung könen Sie mit der Lupe kontrollieren, ob die Schärfe exakt in der Bildmitte liegt.

Und als Belohnung für die Mühe machen Sie noch ein Portrait mit möglichst offener Blende, um die Qualität der Linse bewundern zu können.

Den fertig belichteten Film entwickeln Sie schnellstens zu Hause. Wenn Sie früh genug auf der Fotobörse warten, sollte es sich ausgehen, den Händler noch zu erreichen, falls die Kamera nicht so arbeitet wie zugesichert.

Meine persönliche Einschätzung der allgemeinen Zuverlässigkeit

Bei keiner meinen Flexaret ist bisher ein mechanischer Defekt vorgekommen. Die Bildabstände, obwohl nicht immer auf den Milimeter gleich, waren immer ausreichend. Allerdings wurden alle meine Kameras vor dem Kauf einem CLA-Service unterzogen. Bei den derzeit niedrigen Preisen und dem realtiv grossen Angebot bei eBay sollten Sie nur eine funktionierende Kamera kaufen. Eine Beurteilung aus der Ferne ist nur oberflächlich möglich, aber fragen Sie den Verkäufer ruhig ein Loch in den Bauch. Es sit schließlich Ihr Geld. Und wenn Sie auf den Geschmack gekommen sind, legen Sie sich vielleicht eine zweite zu, falls eine einmal doch zum Service muss. Da die Mechanik recht einfach ist, müssen Sie schlimmstenfalls mit einem CLA rechnen. Sofern die Kamera nicht Jahrzehnte in der Vitrine verstaubt, steht einem langen Leben nichts im Wege. Denn was 50 oder mehr Jahre funktioniert hat, wird wahrscheinlich nicht in den nächsten fünf Jahren auseinander fallen.